Sonderausstellung "Glas 1990, eine Branche in der Transformation - die ostdeutsche Glasindustrie in den Treuhandjahren"

Sonderausstellung 28.06.2020 bis 15.11.2020 (Bild vergrößern)
Bild zur Meldung: Sonderausstellung 28.06.2020 bis 15.11.2020

 

Das Museum Baruther Glashütte widmet sich, 30 Jahre nach Gründung der „Treuhand-Anstalt“ einem aktuell viel diskutierten Thema, das voller Emotionen und Stereotype steckt: Die Privatisierung volkseigener Betriebe und Kombinate durch die Treuhand und ihre Nachfolgeorganisationen.

Die Ausstellung präsentiert etwa 200 Gläser, Archivalien, Grafiken und zwei Projektionen. Gleichwohl ihr Schwerpunkt auf der Glasindustrie, Ihren Beschäftigten, ihren Produkten und ihrer Kultur liegt, vermittelt die Sonderausstellung auch die grundlegende wirtschaftliche und gesellschaftliche Umwandlung, die zuletzt auch als »große Transformation« gewertet wurde und eine »Einheitskrise« bewirkte.

Ein auf die Glas-Branche fokussierter Blick soll sich auf die Jahre des Umbruches um 1990 mit Schwerpunkt auf Brandenburg und Sachsen mit den früheren Bezirken Cottbus und Dresden richten. Betriebe, die besonders in den Blick genommen werden, sind die Glaswerke Döbern, Großräschen, Langewiesen, Ottendorf, Reichenbach, Rietschen, Schwepnitz, Tschernitz und Weißwasser.

Es wurden ausgewählte Quellen aus dem Bundesarchiv aus dem Bestand der Treuhandanstalt und aus dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv gesichtet, wenngleich diese Forschung auch angesichts der Archivschließungen im März und Mai noch nicht abgeschlossen werden konnten.

Durch großzügige Leihgaben von Siegfried Kohlschmidt, Birgit + Dieter Schaich, dem Glasmuseum Weißwasser und anderen können wir sowohl ausgewählte Gläser der volkseigenen mitteldeutschen Glashütten als auch solche der ab 1990 privatisierten Betriebe vorstellen. Hierdurch wird die vielfach gestalterisch hohe Qualität der ostdeutschen Glasindustrie bis 1989 deutlich. Bildpräsentationen und Grafiken sollen die Betriebsgrößen, Namen von Gestalterinnen und Gestaltern sowie Produktionsmengen vermitteln.

Statt einen Katalog zu erstellen, hat das Glashütter Museumsteam mit Georg Goes, Samira Quanz und Anna Rohr die Exponate auf der Internetplattform »Museum-Digital« digitalisiert und kommentiert.

Die Ausstellung wird am Sonntag, 28.6.2020, um 15 Uhr eröffnet. Um die Abstandsregeln zu wahren, erfolgen Dank und Einführung auf der Tribüne im Glasstudio in der Ofenhalle der Neuen Hütte, bevor die Eröffnungsgesellschaft in Kleingruppen die Exponate in Augenschein nimmt.

Zwei Vorträge sind Teil eines Rahmenprogramms: Am 5.9.2020, 15 Uhr, wird Dr. des. Wolfgang-Rüdiger Knoll, Institut für Zeitgeschichte, einen Vortrag halten zum Thema
»Zwischen Abbruch und Aufbruch: »Neue Forschungen zur Geschichte der Treuhandanstalt in Brandenburg zwischen 1990-1994« halten.

Am 3.10.2020, 15 Uhr trägt Museumsleiter Georg Goes zu den Forschungen über die Glasindustrie anhand der Treuhand-Akten im Bundesarchiv vor.

Die Ausstellung wird gefördert durch den Landkreis Teltow-Fläming, die Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, sowie den Museumsverein und die Heimatstiftung Glashütte.

 

Die Treuhand-Anstalt – Das „Direktorat-Glas“

Die Treuhandanstalt (THA) wurde im März 1990 gegründet.
Ihr Auftrag war die Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens im Interesse der Allgemeinheit. Detlef Scheunert, zuständiger Treuhand-Direktor, formuliert
in der Rückschau zu seiner Arbeit im für die Glasindustrie zuständigen Direktorat „U2 OF“:
„Wir haben zu wenig die Lebensleistung der Menschen gesehen“. In der politisch gebotenen Schnelligkeit der Privatisierung wurde „zu viel geholzt“. Möglicherweise kam der Strategiewechsel
von rein betriebswirtschaftlichen Kriterien der Treuhand-Arbeit hin zu stärker „gewerkschaftlich abgesofteten“ Modellen ab 1991 zu spät.

Die Glasindustrie auf dem Gebiet der ehemaligen DDR umfasste 1990 etwa 80 Betriebe mit 34.200 Beschäftigten. Gleichwohl die Verantwortlichen in der Treuhandanstalt eine positive Bilanz zur Privatisierung der Branche ziehen, war der Beschäftigungsrückgang auf etwa ein Viertel bis 1994 dramatisch. Die Massenarbeitslosigkeit in den strukturschwachen Gebieten der Glasindustrie war schmerzhaft, zerstörte Biografien und Berufswissen. Dennoch erscheint es unangemessen und vereinfacht, den „Schwarzen Peter“ für  gescheiterte Privatisierungen bzw. erfolgte Silllegungen ausschließlich der Treuhand zuzuschreiben, weil für große Privatisierungen die Landesregierungen zuständig waren. Die Landeskabinette wurden bei monatlichen Sitzungen (Verwaltungsräte) von der Treuhand über den „Status der Privatisierung“ unterrichtet. Zuweilen setzten sich Wirtschaftsministerien und Staatskanzleien auch gegen die Empfehlung der Treuhand für einen der konkurrierenden Standorte ein (Jena erhält in Thüringen gegenüber Jena den Zuschlag) oder bevorzugten bestimmte Investoren (Schott in Jena, Samsung in Tschnernitz).

Als Erfolge verbuchte Scheunerts Treuhand-Direktorat: „Privatisierung der Glasindustrie AG, Torgau; Privatisierung der Jenaer  Glaswerke GmbH; Privatisierung der Ankerglas Bernsdorf AG; Privatisierung der Stralauer Glashütte; Entflechtung der Glasindustrie am Standort Weißwasser und Beginn der Privatisierung; Privatisierung  des Glaswerkes Großbreitenbach; Privatisierung von neun weiteren Unternehmen der Glasbranche.“
 

Vor Ort koordinierten Regionalbüros die Privatisierungen und kontrollierten gegenüber Geschäftsleitungen und Betriebsräten die Auflagen der Betriebe im Privatisierungsprozess. Zuvor hatten in der Regel Wirtschaftsprüfer den Entwicklungswert einzelner Unternehmen benotet, Liquidationskosten errechnet und Liquiditätskredite gewährt. Die Übernahme von Lohnkosten und umfängliche Kredite konnten Betriebsaufgaben häufig nicht verhindern, weil Altschulden aus der Zeit bis 1989 auf den Standorten lasteten. Das erklärte Ziel einer Stärkung mittelständischer Strukturen wurde kaum erreicht – „Management-Buy-outs“ aus der eigenen Belegschaft gelangen selten.

Nach der Auflösung der Treuhand waren verschiedene Gesellschaften mit der Sanierung und Vermarktung von nicht verkauften Fabriken, Grundstücken und sonstigen Immobilien betraut. Für die ortsprägende Funktion der Fabriken war die Arbeit von Grundstückssanierungsgesellschaften, die vor allem mit der Sanierung und Dekontaminierung betraut waren, von großer Bedeutung. Durch den Abriss gingen einerseits Relikte der Industriekultur verloren, die eine gewisse identitätsstiftende Rolle hatten. Andererseits ermöglichte die Sanierung von Altstandorten auch eine Neuansiedlung von Gewerbe oder eine weitere Umnutzung ehemaliger Glasstandorte. 

Die ausgestellten Ehrengeschenke und Andenkengläser würdigen die Leistung der Glasmacher und Techniker. Eine Betriebsparteiorganisation-Fahne, die gläserne Form für ein „Sülzkotelett“ und andere Objekte des „Gesellschaftskitsches“ stehen für wirtschaftspolitischen und kulturellen Wandel ab 1990 und den Verlust an handwerklichem Können, das heute als „Immaterielles Kulturerbe der manuellen Glasfertigung“ gewürdigt wird.

Die Ausstellung soll auch auf die guten Gestalterinnen und Gestalter und in der Glasveredelung Beschäftigten verweisen. Gleichwohl heute Glasstudios wie das im Museum Baruther Glashütte immer noch ein Forum für Kunststudentinnen und Designerinnen bilden, um praktische Erfahrungen bilden, scheint die enge innerbetriebliche Zusammenarbeit zwischen Design und Technik doch in den „Treuhandjahren“ verloren gegangen zu sein.

Schon die Vereinigten Lausitzer  Glaswerke (VLG) haben die Tradition der professionellen Glasgestaltung begründet. Wilhelm Wagenfeld war als am Bauhaus ausgebildeter »Designer« künstlerischer Leiter der VLG.

Auch ihre Nachfolger, die Oberlausitzer Glaswerke (OLG) bzw. das Kombinat »Lausitzer Glas« setzten durchaus auf gute Gestaltung, warben mit Preisen für ihre Produkte wie »Gutes Design« und pflegten enge Kontakte zu Kunsthochschulen und Kunstgewerbemuseen in Berlin, Dresden und Halle.

In alphabetischer Reihenfolge seien ausgewählte Gestalter und Kunsthandwerker genannt, die noch in den 1970er und 80er in den Kombinaten bzw. den Betriebsteilen wirkten und deren Entwürfe in der Ausstellung zu sehen sind: Aey-Lauke, Marita; Bittner, Paul; Bundtzen, Friedrich; Gramß, Horst; Herzog, Erich; Hoffmann, Arthur; Jahny, Margarete;  Keuchel, Fritz; Korn, Karin; Koschnick, Rosemarie; Müller, Erich; Musinowski, Klas; Richter, Georg; Schade, Heinz; Toczek, Heike. Sie alle, junge Designerinnen und erfahrene Gefäßgestalter, haben ihr Können dem Glas gewidmet.

 

Georg Goes, Museum Baruther Glashütte, Tel. 033704/980912; 

 

 

 

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